BGH bestätigt arglistige Täuschung durch VW im Dieselskandal
Die Sittenwidrigkeit des Handelns der VW AG beruhe darauf, dass diese aufgrund einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse das Kraftfahrt-Bundesamt vorsätzlich getäuscht und sodann langjährig und systematisch in siebenstelliger Stückzahl Fahrzeuge auf den Markt gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass die Stickoxidwerte nur mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Besonders verwerflich sei das Verhalten im Verhältnis zu Fahrzeugkäufern deshalb, da im Fall der Aufdeckung der Abschalteinrichtung eine Betriebsuntersagung drohte. Sittenwidrig ist dieses Verhalten nach der Auffassung des BGH auch gegenüber Gebrauchtwagenkäufern.
Das an sich zulässige Gewinnstreben werde durch die systematische Täuschung und eine Gesinnung unzulässig, die sich gleichgültig gegenüber den für die Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch gegenüber den geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt zeige. Dieses Verhalten unterschreite derart die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheine.
Der KFZ-Markt sei geprägt von hoher Regulierungsdichte, zugleich bestehe ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen Hersteller und Käufer bei dem technischen Wissen in Bezug auf die Funktionsweise der Fahrzeuge. Arglose Käufer hätten daher schon nicht die Möglichkeit gehabt, die Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben auch nur nachzuvollziehen, weshalb sie darauf hätten vertrauen dürfen, dass die gesetzlichen Vorgaben von der Beklagten eingehalten würden. Die VW AG habe sich die Arglosigkeit und das Vertrauen der Käufer gezielt zunutze gemacht. Daher komme es nicht darauf an, ob dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge ein bestimmter Erklärungswert beizumessen sei.
Der Hersteller trage die sekundäre Darlegungslast für die Unkenntnis seines Vorstands von der getroffenen strategischen Entscheidung, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass zumindest ein vormaliges Vorstandsmitglied von der Entscheidung Kenntnis hatte. Zwar trage grundsätzlich der Anspruchsteller, hier also der Fahrzeugkäufer, die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Allerdings habe sich der Gegner dann substantiiert zu äußern und zumutbare Nachforschungen anzustellen, wenn die darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände habe. Dies gelte auch im vorliegenden Fall, da der Kläger hinreichend zu einer grundlegenden, alle Fahrzeuge weltweit betreffenden Strategieentscheidung und der Bedeutung der gesetzlichen Grenzwerte, der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer Einhaltung vorgetragen habe; andererseits habe der Kläger besondere Schwierigkeiten vorzutragen, welches konkrete Vorstandsmitglied Kenntnis gehabt habe. Zwar könne von der Beklagten keine umfassende Darlegung einer negativen Tatsache verlangt werden. Sie hätte aber zumindest zur damaligen Organisationsstruktur, internen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, Berichtspflichten und den ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen vortragen müssen.
Auf den Vorsatz der VW AG könne im vorliegenden Fall aus dem Wissen geschlossen werden.
Zudem hat der BGH seine Rechtsprechung bestätigt, wonach auch derjenige, der zwar eine objektiv werthaltige Leistung erhält, dann einen Vermögensschaden erleidet, wenn die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Dies gelte zumindest dann, wenn die Unbrauchbarkeit nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern auch die Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit nachteilig ansieht. Der Käufer eines neuen oder gebrauchten, von der Abgasmanipulation betroffenen VW-Fahrzeugs sei nach diesen Grundsätzen eine ungewollte Verpflichtung eingegangen und habe insoweit einen Schaden erlitten. Dies könne im Rahmen eines Indizienbeweises anhand der Lebenserfahrung unterstellt werden, da die Gebrauchsfähigkeit eines Kraftfahrzeugs von überragender Bedeutung sei, so dass das Risiko des Entzugs der Betriebsgenehmigung einen potentiellen Kunden vom Kauf abhalte.
Die Grundsätze der Vorteilsangleichung gälten auch bei Ansprüchen aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Der Geschädigte soll nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Allein der Umstand, dass das Deliktsrecht auch präventiv wirke, gebiete es nicht, die Vorteilsausgleichung auszuschließen. Ein Strafschadenersatz sei dem deutschen Recht nach wie vor fremd. Der Kläger müsse sich daher die gezogenen Nutzungen – die zurückgelegte Laufleistung – anrechnen lassen. Die Berechnung des Berufungsgerichts, den prozentualen Anteil des Kaufpreises für die zurückgelegten Kilometer im Verhältnis zur geschätzten Restlaufleistung ab dem Tag des Kaufs sei nicht zu beanstanden.