Dr. Christian Zwade » Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

BGH: kein genereller Anspruch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO auf Herausgabe vollständiger Dokumente

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 05.03.2024 klargestellt, dass der Anspruch auf „Kopien“ im Sinne von Art. 15 Abs. 3 DSGVO nicht die vollständigen Unterlagen mit Bezug auf die betroffene Person meint. Der Anspruch beziehe sich lediglich auf die personenbezogenen Daten selbst, nicht auf die Dokumente, in denen sie enthalten sind. Der Betroffene kann zwar vollständige Kopien solcher – noch vorhandener – Unterlagen verlangen, die von ihm selbst erstellt und an den Auskunftsverpflichteten übermittelt wurden, etwa eigener E-Mails oder Briefe. Ein Anspruch auf vollständige Herausgabe beispielsweise von Aktenvermerken, Telefonnotizen oder Beratungsprotokollen besteht dagegen in der Regel nicht.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. VI ZR 330/21) erging im Rahmen der Klage einer Anlegerin, die auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO von der Vermittlerin einer Kapitalanlage verlangt hatte, ihr Kopien sämtlicher sie betreffender Unterlagen aus der langjährigen Geschäftsbeziehung zu übermitteln. Das Klagebegehren diente unstreitig dazu, der Klägerin den Zugriff auf mögliche Beweismittel für das von ihr parallel geführte Schadenersatzverfahren zu ermöglichen. Während das Schadenersatzbegehren in allen Instanzen erfolglos blieb, hatte das Auskunftsverlangen in den ersten beiden Instanzen weitgehend Erfolg.

Der BGH hatte das Verfahren zunächst mit Beschluss vom 21.02.2023 ausgesetzt, um die auch vorliegend entscheidungserheblichen Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den Rechtssachen C-487/21 und C-307/22 abzuwarten. Mit Urteil vom 04.05.2023 hat der EuGH im Verfahren C-487/21 entschieden, dass der Begriff „Kopie“ die Daten selbst meine, nicht generell Kopien sämtlicher Dokumente mit Bezug zum Betroffenen. Das Recht auf Erhalt einer Kopie der personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO bedeute indes, dass die betroffene Person eine originalgetreue und verständliche Reproduktion aller dieser Daten erhalten müsse, wenn die Bereitstellung einer Kopie unerlässlich sei, um der betroffenen Person die Ausübung ihrer Rechte nach der DSGVO zu ermöglichen. Allerdings seien die Rechte und Freiheiten anderer, etwa Geschäftsgeheimnisse oder Rechte des geistigem Eigentums, zu berücksichtigen. Der Begriff der „Information“ in Art. 15 Abs. 3 S. 3 DSGVO beziehe sich lediglich auf die Daten der betroffenen Person. Mit weiterem Urteil vom 26.10.2023 hat der EuGH die Auslegung für ärztliche Behandlungsunterlagen präzisiert.

In dem aktuellen Urteil hält der VI. Zivilsenat des BGH fest, dass die Klägerin keinen Auskunftsanspruch im Hinblick auf sämtliche sie betreffenden Dokumente der Anlagevermittlerin aus der Vertragsbeziehung habe. Zwar sei der Begriff der „Daten“ weit zu verstehen und beschränke sich nicht auf sensible oder private Informationen. Indes beziehe sich der Anspruch auf Erteilung einer Kopie nur auf die personenbezogenen Daten selbst und meine nicht die Herausgabe vollständiger Kopien sämtlicher Unterlagen mit Bezug zum Betroffenen. Daher seien von der betroffenen Person selbst übermittelte Schreiben und E-Mails vollständig in Kopie zu übermitteln, da die personenbezogenen Informationen bereits darin bestünden, dass die Person sich entsprechend geäußert habe. Daten aus anderen Unterlagen, etwa Schreiben des Auskunftsverpflichteten an den Betroffenen, müssten dagegen nur insoweit übermittelt werden, als sie nach den vorgenannten Maßstäben Daten des Betroffenen enthielten. Denkbar wäre, dass die Kontextualisierung der Daten die Herausgabe weitergehender Teile von Unterlagen umfasse, wenn dies erforderlich sei, um die personenbezogenen Daten verständlich zu machen. Das müsse allerdings vom Kläger vorgetragen werden, wenn er die Herausgabe von Kopien sämtlicher Dokumente verlange.

Eine Einschränkung des Auskunftsanspruchs auf Dokumente aus dem Geltungszeitraum der DSGVO lehnt der BGH allerdings ab. Daher müssten bei langjährigen Geschäftsbeziehungen sämtliche noch vorhandenen personenbezogenen Daten herausgegeben werden. Es schließe ferner den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch nicht aus, dass ein Schriftstück dem Betroffenen bereits bekannt sei.

In prozessualer Hinsicht stellt der BGH klar, dass die Herausgabe von Auszügen der vorhandenen Dokumente kein „Minus“ zur beantragten Herausgabe der vollständigen Dokumente (jeweils in Kopie) sei. Wegen der Form der Antragstellung war die Klägerin im entschiedenen Verfahren daher im Hinblick auf nicht von ihr selbst verfasste Unterlagen vollständig unterlegen; eine eine Verurteilung nur zur Herausgabe der darin enthaltenen personenbezogenen Daten kam nicht in Betracht.

Schließlich hat der BGH den Erfolg des Auskunftsanspruchs nicht davon abhängig gemacht, dass damit Zwecke verfolgt werden, die die DSGVO nennt oder billigt. Aufgrund der Beschränkung des Anspruchs auf die personenbezogenen Daten selbst ist zumindest teilweise verhindert, dass der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch zur gerichtlich angeordneten Vorlage von Beweismitteln (sog. „pre-trial discovery“) zweckentfremdet wird.