BGH: Verkehrssicherungspflicht bei Wegabsperrungen und Mitverschulden des Radfahrers
Den Entscheidungen (Az. III ZR 250/17 und III ZR 251/17) lagen die Klagen eines ehemaligen Bundeswehroffiziers und seines Dienstherrn gegen eine Gemeinde und zwei Jagdpächter auf Schadenersatz wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zugrunde.
Der klagende Geschädigte war auf einer Mountainbike-Tour von einer Straße in einen Feldweg abgebogen. Dort befand sich nach ca. 50 m eine Absperrung auf dem Weg, die ein früherer Jagdpächter mit Erlaubnis der Gemeinde dort errichtet hatte. Dieses bestand aus zwei vertikal aufgestellten Holzlatten, an denen sich ein KFZ-Verbotsschild befand. Von den Holzlatten führten in Höhe von ca. 60 und 90 cm über dem Boden waagerecht Stacheldrähte nach links und rechts, die an im Unterholz stehenden Pfosten befestigt waren. An einer Seite konnte die Absperrung geöffnet werden. Der Kläger führte, als er die Stacheldrähte erkannte, eine Vollbremsung durch, kam vor der Absperrung aber nicht mehr zum Stehen. Er stürzte kopfüber in den Stacheldraht und verletzte sich schwer.
Die Klagen blieben in erster Instanz erfolglos. Das Berufungsgericht bejahte zwar eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten wegen der Gefährlichkeit der Sperre, nahm aber ein Mitverschulden des geschädigten Radfahrers von 75 % an. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ist ein quer über einen Weg, der für die Nutzung durch Radfahrer zugelassen ist, gespannter Stacheldraht verkehrswidrig, wenn dieser nicht auffällig gekennzeichnet ist. Ein solches schwer erkennbares und durch seine Beschaffenheit gefährliches Hindernis sei völlig ungewöhnlich und geradezu tückisch. Damit müsse ein Radfahrer nicht rechnen. Verantwortlich für einen solchen verkehrswidrigen Zustand seien die Gemeinde, auf deren Gebiet sich die Absperrung befinde, und die Jagdpächter, die die Absperrung zum Wildschutz und als Zugang zu ihrem Jagdrevier nutzten. Übernehme ein Jagdpächter mit der Pacht das Recht, ein solches Hindernis zu nutzen, trage er auch die Verpflichtung für dessen Verkehrssicherheit.
Dagegen sei dem Kläger kein Mitverschulden wegen Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot vorzuwerfen. Dieses Gebot verlange, seine Geschwindigkeit so anzupassen, dass innerhalb der übersehbaren Strecke angehalten werden kann, wenn ein Hindernis auftritt. Das Sichtfahrgebot fordere aber nicht, stets so langsam zu fahren, dass auch bei übersichtlicher Lage auf ein schon im Sichtbereich befindliches, aber aus größerer Entfernung nicht erkennbares Hindernis rechtzeitig reagiert werden kann. Auf Hindernisse, die wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar seien, oder die völlig atypisch seien und auf die nichts hindeute, müsse sich ein Radfahrer nicht einrichten. Die in den entschiedenen Fällen betroffene Absperrung stelle ein solches Hindernis dar, zumal die Holzlatten und das KFZ-Verbotsschild annehmen ließen, ein Radfahrer könne daneben frei vorbeifahren.
Ein Mitverschulden könne dem Radfahrer auch nicht wegen einer falschen Reaktion - der Vollbremsung, die einen Überschlag des Rads bewirkte - entgegengehalten werden. Gerate ein Verkehrsteilnehmer ohne Verschulden in eine Gefahrensituation, in der ihm keine Zeit zum Überlegen bleibe, seien ein Erschrecken und eine hierdurch verursachte Fehlreaktion verständlich.
Dagegen komme möglicherweise ein Mitverschulden wegen des Tragens von Klickpedalen anstelle herkömmlicher Fahrradpedale in unbefestigtem Gelände in Betracht. Dieses könne den Schadenersatzanspruch aber allenfalls um ein Viertel mindern. Für eine solche Annahme bedürfe es näherer Feststellungen, die in den entschiedenen Fällen noch nachgeholt werden müssten.