Dr. Christian Zwade » Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

BGH: Voraussetzungen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums bei gescheiterter Kapitalanlage

In einem neuen Urteil vom 20.03.2025 (III ZR 261/23), das auch für die Anwaltshaftung bedeutsam ist, hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit den Voraussetzungen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums in Fällen befasst, in denen der beklagte Anbieter einer Kapitalanlage aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen sein Anlagemodell von einem Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht neu konzipieren lässt. Ist nach den Umständen der Rechtsrat als verlässlich anzusehen, muss nicht generell ein schriftlich ausgearbeitetes Gutachten oder eine Einschätzung der BaFin eingeholt werden.

Der Beklagte hatte zunächst als Einzelkaufmann, später für die von ihm gegründete GmbH bei Anlegern Darlehen eingeworben, mit deren Valuta er Immobilien erwarb. Aus den damit erzielten Gewinnen sollten die Darlehen nebst Zinsen zurückgezahlt werden. Der Beklagte verfügte nicht über eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Der klagende Anleger schloss im Jahr 2012 einen Darlehensvertrag mit dem Beklagten über € 15.000,00. Im Folgejahr leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Beklagten ein, u.a. beruhend auf dem Verdacht eines Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz (KWG) durch Betreiben unerlaubter Einlagegeschäfte. Der Beklagte beauftragte noch während des Ermittlungsverfahrens seinen Strafverteidiger, der auch Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht ist, sein Anlagemodell zu überarbeiten. Der Rechtsanwalt erarbeitete ein auf grundsätzlich erlaubnisfreien Nachrangdarlehen beruhendes neues Anlagekonzept nebst Vertragsformularen und einem Exposé, das das Anlagemodell erläuterte. Im Jahr 2014 überführten die Parteien das Darlehen des Klägers in ein neues Darlehensverhältnis mit der anwaltlich entworfenen qualifizierten Nachrangklausel über € 17.000,00 mit der vom Beklagten geführten GmbH. Zugleich schloss der Kläger mit der GmbH ein weiteres Darlehen, im Dezember 2015 ein drittes. Im Sommer 2015 erachtete die Staatsanwaltschaft das neue Konzept als nicht erlaubnispflichtig und stellte diesbezügliche Ermittlungen ein. Die GmbH fiel später in Insolvenz, worauf der Kläger die Darlehen außerordentlich kündigte und vom Beklagten Erstattung seiner Leistungen verlangte, da die Nachrangklausel unwirksam sei. Der Beklagte hat sich auf einen schuldausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB) berufen.

Der BGH hat das Berufungsurteil, das Schadenersatzansprüche bejaht hatte, aufgehoben und die Klage mangels Verschuldens des Beklagten abgewiesen.

Die Frage einer hinreichenden Transparenz des Klauselwerks und damit der Wirksamkeit der Nachrangabrede konnte der BGH dabei offen lassen, da sich der Beklagte jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB befunden habe. Damit scheide auch eine zivilrechtliche Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB aus.

Die Entscheidung zeigt auf, dass ein schriftliches Gutachten entgegen weitläufiger Ansicht neben der Einschaltung eines spezialisierten, kompetenten Rechtsanwalts nicht per se zur Plausibilitätskontrolle erforderlich ist. Die Entscheidung hat damit auch erhebliche Bedeutung für den Bereich der Anwaltshaftung.

Die Auskünfte eines einschlägigen Fachanwalts seien grundsätzlich als verlässlich, d.h. objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und auf pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage beruhend, anzusehen. Allerdings dürfe der Ratsuchende sich nicht allein deswegen auf die Auskunft eines Rechtsanwalts verlassen, weil diese seinem Vorhaben günstig sei. Weder nur zur Absicherung beauftragte, nicht ergebnisoffene Gefälligkeitsgutachten noch Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft seien, könnten einen Handelnden entlasten. Insbesondere bei erkennbar komplexen Sachverhalten und schwierigen Rechtsfragen sei in der Regel ein detailliertes Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.

Stets bedürfe es einer Einzelfallprüfung, welche Anforderungen zur Klärung der Erlaubnispflicht eines Anlagemodells zu stellen seien und wie eine Rechtsberatung oder -auskunft gestaltet sein müsse, um sich auf diese verlassen zu können. Das betreffe auch die Frage, ob der Rechtsanwalt sein Arbeitsergebnis verschriftlichen müsse, damit dieses weiter auf Plausibilität geprüft werden könne.

Indem der Beklagte einen Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht mit der Erstellung einer neuen erlaubnisfreien Vertragsgestaltung beauftragt habe, habe er zunächst das Gebotene getan, um sicherzustellen, dass das Anlagemodell in Zukunft nicht mehr unter die Erlaubnispflicht fällt. Er habe grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, auf der Grundlage der Konzeption des Rechtsanwalts und der von diesem entworfenen Verträge und Unterlagen eine erlaubnisfreie Tätigkeit auszuüben. Das Mandat, eine Klausel für ein erlaubnisfreies Geschäft zu erstellen, habe auch die Prüfung beinhaltet, ob die Klausel wirksam ist. Die nötige Gründlichkeit der anwaltlichen Arbeit habe wegen des abgerechneten erheblichen Zeitaufwands und der Erkenntnisse des Rechtsanwalts aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nahegelegen. Der Beklagte habe auch nicht hinterfragen müssen, ob die die Ermittlungen einstellende Staatsanwältin die Wirksamkeit der Klauseln überprüft habe. Da es für den Beklagten keinen Anlass zu Zweifeln gegeben habe, habe es einer weitergehenden Plausibilitätskontrolle der Ausarbeitung des beauftragten Fachanwalts auf rechtliche Richtigkeit, z.B. durch ein schriftliches Gutachten, nicht bedurft. Im Prozess habe der Beklagte unter den vorliegenden Umständen auch nicht das Beratungsgespräch detailliert darlegen müssen.

Ebenso wenig könne dem Beklagten zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich nicht an die BaFin gewandt habe, da die Einbeziehung der BaFin für die Annahme der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums zwar ein mögliches, aber nicht das einzige Mittel der Wahl sei.

Eine sehr lesenswerte Entscheidung, die die Kautelarpraxis der Anwaltschaft stärkt und Fragen des unvermeidbaren Verbotsirrtums im Kapitalanlagerecht weitere Konturen gibt.