Einzelrichterentscheidung und Recht auf den gesetzlichen Richter bei grundsätzlicher Bedeutung
Anlass dieser Entscheidung war ein Verfahren um Schadenersatz eines Anlegers im Zusammenhang mit der Begleitung des Börsengangs eines schwedischen Unternehmens (Trig Social Media AB) durch eine Wertpapierhandelsbank. Nach Anteilskäufen des Klägers erstattete die BaFin Anzeige aufgrund eines Verdachts der Marktmanipulation. Der Kläger nahm die Bank als Prospektverantwortliche, wegen behaupteter überhöhter Darstellung des Aktienwerts und Kursmanipulation in Anspruch. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das klagestattgebende Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen.
Mit dem Urteil vom 10.11.2022 (Az. III ZR 13/22) hat der BGH klargestellt, unter welchen Voraussetzungen ein dem Einzelrichter übertragenes Verfahren gem. § 526 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO wieder dem vollbesetzten Berufungsgericht (Senat bzw. Kammer) vorgelegt werden muss. Erforderlich ist nach dieser Norm, dass sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage entweder besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache ergeben.
Eine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne liege außer in den Fällen von §§ 511 Abs. 4 S. 1 bzw. 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO auch dann vor, wenn das Verfahren der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung diene. Zu letzterem zähle auch die sog. Innendivergenz, d.h. voneinander abweichende Rechtsauffassungen innerhalb desselben Spruchkörpers. Dies sei im Interesse der Rechtseinheitlichkeit geboten und schütze das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Im entschiedenen Fall habe eine Innendivergenz vorgelegen, da die Einzelrichterin von einer vorsätzlichen Beihilfe der Beklagten zu Marktmanipulationen ausgegangen war, der Senat des Berufungsgerichts in einem Parallelverfahren dagegen nur von Fahrlässigkeit.
Zudem sei eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage seit der Übertragung auf den Einzelrichter erforderlich. Der Einzelrichter könne die Sache nicht dem Berufungsgericht zurückübertragen, wenn er von vornherein die abweichende Auffassung vertrete, sie sei rechtsgrundsätzlich. Dann dürfe er im Interesse eines zügigen Verfahrens als Einzelrichter die Revision zulassen.
Im entschiedenen Fall sei auch eine wesentliche Änderung der Prozesslage zu bejahen, da erst nach der Übertragung des Falls auf die Einzelrichterin eine divergierende Entscheidung des Berufungssenats in der Parallelsache ergangen sei. Dass das Berufungsgericht noch vor der Einzelrichterentscheidung in der Parallelsache einen Hinweisbeschluss erlassen habe, in dem es bereits von Fahrlässigkeit ausging, stehe dem nicht entgegen. Denn hierbei habe es sich nur um eine vorläufige Auffassung gehandelt, die durch weitere Stellungnahmen der Parteien noch habe geändert werden können.
Ein Rechtsmittel kann zwar grundsätzlich nach § 526 Abs. 3 ZPO nicht auf die unterlassene Vorlage an das Kollegialgericht gestützt werden. Diese Norm greife indes nicht ein, wenn die Nichtvorlage willkürlich sei. Zwar ist nach der ständigen BGH-Rechtsprechung bei der Annahme von Willkür Zurückhaltung geboten, allerdings habe die Einzelrichterin eine Divergenz in der Rechtsprechung erkannt. Diese sei durch Vorlage der Sache an den gesamten Spruchkörper des Berufungsgerichts zu beseitigen, nicht durch Zulassung der Revision. Beruhen die abweichenden Rechtsauffassungen auf einer – vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbaren - Würdigung der Umstände des Einzelfalls, führe die Nichtvorlage an das Kollegialgericht zu einer schwerwiegenden, unhaltbaren Verkürzung der Rechte der Parteien.
Der Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters sei von Amts wegen zu berücksichtigen. Denn er wirke sich auf den Instanzenzug aus. Deshalb scheide auch eine Heilung des Verstoßes nach § 295 ZPO aus.