Dr. Christian Zwade » Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

EuGH: automatisierte E-Mail-Inbox-Werbung nur mit vorheriger Einwilligung des Nutzers zulässig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Werbung, die unmittelbar in einem E-Mail-Posteingang eingeblendet wird und in ihrer Aufmachung einer E-Mail ähnelt, der vorherigen Einwilligung des Nutzers bedarf. Denn diese Werbung stellt eine Verwendung elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung im Sinne der Richtlinie 2002/58/EG (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) dar.

Das Urteil vom 25.11.2021 (C-102/20) ist im Rahmen einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Stromlieferanten über E-Mail-Inbox-Werbung ergangen. Das beklagte Unternehmen hatte über eine Werbeagentur Anzeigen in der Form geschaltet, dass Banner in E-Mail-Postfächern von Nutzern eines kostenlosen E-Mail-Dienstes eingeblendet wurden. Zufällig ausgewählte Nachrichten wurden zufällig ausgewählten Nutzern in der Liste der E-Mails angezeigt, sobald diese ihre Inbox öffneten. Die Einblendungen unterschieden sich von eingegangenen E-Mails optisch nur dadurch, dass der Text leicht grau hinterlegt, das Datum durch das Wort „Anzeige“ ersetzt und kein Absender angegeben war. Die Betreffzeile beinhaltete einen Text zur Bewerbung vorteilhafter Preise für Strom und Gas (Quelle: EuGH-Pressemitteilung Nr. 210/21).

Die Klage des konkurrierenden Unternehmens auf Unterlassung derartiger Werbung stützte sich auf die Verletzung der Vorschriften gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Der Bundesgerichtshof (Beschluss v. 30.01.2020, I ZR 25/19) hatte das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt.

Der EuGH hat in der Entscheidung zunächst festgehalten, die RL 2002/58/EG ziele darauf ab, die Teilnehmer gegen die Verletzung ihrer Privatsphäre durch unerbetene Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung, insbesondere durch automatische Anrufsysteme, Faxgeräte und elektronische Post einschließlich SMS zu schützen. Dabei betont der EuGH, dass es nicht auf die verwendeten und sich fortentwickelnden Technologien ankommt, sondern die Erreichung des Ziels der Richtlinie sichergestellt werden soll. Daher könne die E-Mail-Inbox-Werbung in E-Mails ähnlicher Aufmachung die Privatsphäre der Nutzer durch unerbetene Werbenachrichten beeinträchtigen.

Durch die Art und Aufmachungen der Nachrichten müssten diese als „Nachrichten für die Zwecke der Direktwerbung“ eingestuft werden, selbst wenn die Nutzer zufällig ausgewählt würden. Solche Nachrichten bedürfen nach Art. 13 Abs. 1 RL 2002/58/EG der vorherigen Einwilligung der Teilnehmer. Im Hinblick auf diese Einwilligung hält der EuGH fest, dass die nationalen Gerichte klären müssen, ob der Nutzer des unentgeltlichen, werbefinanzierten E-Mail-Diensts ordnungsgemäß über die genauen Modalitäten der Verbreitung dieser Werbung informiert wurde und hierin tatsächlich einwilligte.

Weiter hat der EuGH angenommen, dass die Einblendung der Inbox-Werbung den Zugang zu den E-Mails ähnlich beeinträchtigt wie unerbetene E-Mails (Spam). Allerdings müsse nach der RL 2002/58/EG eine Belastung des Nutzers über eine einfache Belästigung nicht festgestellt werden.

Schließlich handele es sich bei der automatisierten Inbox-Werbung um „hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen“ im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG, wenn die Einblendung häufig und regelmäßig geschehe und eine vorherige Einwilligung des Nutzers fehle. Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG ist bei hartnäckigem und unerwünschtem Ansprechen stets eine unzumutbare Belästigung anzunehmen.

Das Urteil des EuGH überrascht nicht, da der Gerichtshof regelmäßig betont, dass es auf die effektive Umsetzung des Gemeinschaftsrechts und die Wirkung von Maßnahmen für den Betroffenen ankommt, nicht dagegen auf feinsinnige technologische Unterschiede und Definitionen.