Dr. Christian Zwade » Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

EuGH – Krankenversicherung darf Kosten für Off-Label-Anwendung von Arzneimitteln erstatten

Der Europäische Gerichtshof hat aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens aus Italien entschieden, dass die gesetzliche Krankenversicherung (in Italien: Nationaler Gesundheitsdienst) die Kosten eines Arzneimittels übernehmen darf, auch wenn dieses außerhalb seiner Genehmigung für das Inverkehrbringen angewandt wird (Urteil v. 21.11.2018, C-29/17). Voraussetzung der Verwendung sei jedoch, dass das Arzneimittel weiterhin mit dem EU-Arzneimittelrecht in Einklang stehe.

Hintergrund dieser Entscheidung war die Verwendung des Krebsmedikaments Avastin in der Augenheilkunde. Das Arzneimittel wird zu diesem Zweck umverpackt, d.h. der Originalflasche entnommen und in kleineren Einzeldosen in Spritzen abgefüllt, die zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration angewandt werden. Für die Behandlung dieser Erkrankung steht ein anderes, zu diesem Zweck zugelassenes Arzneimittel, Lucentis, zur Verfügung. Allerdings verursache die Behandlung mit Lucentis nach der Feststellung des EuGH die elffachen Kosten im Vergleich zu Avastin.

In Italien wurde Avastin im Jahr 2014 zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration in die Liste der von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattungsfähigen Arzneimittel aufgenommen. Voraussetzung für die Erstattung ist dabei, dass eine zugelassene Apotheke die Umverpackung aufgrund eines individuellen ärztlichen Rezepts vornimmt, zudem muss der Patient über Behandlungsalternativen informiert werden.

Anlass des aktuellen Verfahrens waren Sanktionen der italienischen Wettbewerbsbehörde wegen Absprachen der Hersteller der beiden Arzneimittel, durch die die Verwendung von Avastin in der Augenheilkunde eingeschränkt werden sollte. Der Hersteller von Lucentis setzte sich gegen diese Sanktionen mit dem Argument zur Wehr, dass die Anerkennung von Avastin als erstattungsfähige Behandlung in der Augenheilkunde dieses Arzneimittel in einem Bereich begünstige, für den es nicht zugelassen sei.

Nach der Entscheidung des EuGH steht das EU-Recht, insbesondere die Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2012/26/EU geänderten Fassung sowie die Verordnung (EG) Nr. 726/2004, der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für den Off-Label-Use eines Arzneimittels nicht entgegen. Denn die Festsetzung der Arzneimittelpreise falle ebenso in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten wie die Organisation und Verwaltung des Gesundheitswesens. Das Unionsrecht stehe der Umverpackung und der Arzneimittelgabe außerhalb dessen zugelassenen Verwendungszwecks nicht entgegen, sondern mache lediglich bestimmte Vorgaben. So müsse die nach der Richtlinie 2001/83 erforderliche Kontrolle im gesamten Vertriebsweg aufrechterhalten bleiben.

Wie der Entscheidung des EuGH weiter zu entnehmen ist, müssen insbesondere eine Herstellungserlaubnis und Verkehrsgenehmigung weiterhin bestehen. Dies sei bei der Umverpackung von Avastin in Spritzen der Fall, wenn das Arzneimittel hierdurch nicht verändert werde, der Vorgang auf individueller ärztlicher Verschreibung beruhe und durch zugelassene Apotheken zur Verabreichung in Krankenhäusern vorgenommen werde. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, habe das nationale Gericht zu prüfen.