Dr. Christian Zwade » Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Haftung für einfache Fahrlässigkeit, aber keine Beweislastumkehr bei Amtshaftung – Erste Hilfe im Sportunterricht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 04.04.2019 (Az. III ZR 35/18) festgehalten, dass der Geschädigte sich bei Ansprüchen aus Amtshaftung wegen unterlassener Wiederbelebungsmaßnahmen nicht auf eine Umkehr der Beweislast, wie sie für grobe ärztliche Behandlungsfehler entwickelt wurde, berufen kann. Andererseits hafte der beklagte Amtsträger auch für einfache Fahrlässigkeit, das Helferprivileg des § 680 BGB finde keine Anwendung. Darüber hinaus hat der BGH erneut die Bedeutung von Sachverständigengutachten, insbesondere im medizinischen Bereich, betont.

Dieser Entscheidung lag die Klage eines ehemaligen Schülers zugrunde, der im Sportunterricht zusammengebrochen und nicht ansprechbar war. Die Sportlehrerin hatte einen Notruf ausgelöst, bis zum Eintreffen der Rettungskräfte waren jedoch weder von ihr noch dem weiteren anwesenden Sportlehrer Reanimationsmaßnahmen eingeleitet worden. Der Kläger erlitt u.a. einen hypoxischen Hirnschaden und ist zu 100 % schwerbehindert. Die Klage war in den ersten beiden Instanzen erfolglos. Das Berufungsgericht hatte zur Begründung ausgeführt, dass nicht habe festgestellt werden können, wann die Atmung des Klägers aussetzte und die Reanimation hätte begonnen werden müssen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hatte es deshalb abgelehnt.

Nach der aktuellen Entscheidung des BGH kann sich der verletzte Kläger nicht auf die Beweislastumkehr für die Nichtursächlichkeit einer Pflichtverletzung, wie sie für grobe Behandlungsfehler eines Arztes entwickelt wurde, berufen. Diese Grundsätze gälten zwar nach der BGH-Rechtsprechung auch für die grobe Verletzung von Berufs- oder Organisationspflichten, wenn Kernpflichten betroffen seien, beispielsweise die Gesundheitssorge bei der Badeaufsicht in Schwimmbädern oder Hausnotrufverträgen. Zu den Amtspflichten eines Sportlehrers zähle es zwar, bei Notfällen Erste Hilfe zu leisten. Hierbei handele es sich jedoch nur um eine Nebenpflicht, so dass eine Beweislastumkehr nicht gerechtfertigt sei. Daher verbleibe es bei der Beweislast des Klägers dafür, dass die unterlassene Erste Hilfe für den eingetretenen Schaden ursächlich war. Nicht ausgeschlossen seien aber Beweiserleichterungen, etwa im Fall der Wahrscheinlichkeit für die Kausalität.

Zudem hat der Bundesgerichtshof festgehalten, dass eine Amtshaftung des beklagten Bundeslands nicht nur im Fall grober Fahrlässigkeit infrage komme. Sportlehrer könnten sich, anders als z.B. anwesende Schüler, nicht auf das sog. Nothelferprivileg des § 680 BGB berufen. Denn es zähle zu den Amtspflichten von Sportlehrern, Erste-Hilfe-Maßnahmen in Notfällen rechtzeitig und ordnungsgemäß zu leisten, weshalb Sportlehrer nach den geltenden Regeln über eine aktuelle Erste-Hilfe-Ausbildung verfügen müssten. Zudem gelte im Rahmen der Amtshaftung nach § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG ein objektivierter Sorgfaltsmaßstab, die eingesetzten Amtsträger müssten über hinreichende Kenntnisse und Fähigkeiten für das übernommene Amt verfügen. Da der Sportunterricht stets mit gewissen Gefahren für Schüler verbunden, andererseits Pflichtfach sei, erschiene es auch unangemessen, wenn eine Haftung des Staates nur in Ausnahmefällen, bei grober Fahrlässigkeit, einträte.

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit zurückverwiesen, um das vom Kläger beantragte Sachverständigengutachten zur Kausalität der unterlassenen Hilfeleistung für den Gesundheitsschaden einzuholen. Art und Dauer der Wiederbelebungsmaßnahmen des Rettungsdienstes, detaillierte vom Notarzt erhobene Befunde wie die Sauerstoffsättigung im Blut, ferner der Umfang der Hirnschädigung seien bekannt. Daher könne jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass ein Sachverständiger den Geschehensablauf, insbesondere den Zeitpunkt des Atemstillstands, weiter aufklären könne. Solche Feststellungen könnten sodann ggf. die Feststellung ermöglichen, ob die anwesenden Sportlehrer durch Unterlassen von Reanimationsmaßnahmen zum Eintreten des Hirnschadens oder dessen Ausmaß beigetragen hätten.

Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Kausalität der unterlassenen Reanimation hätte nur dann abgelehnt werden dürfen, wenn ausgeschlossen sei, dass ein Sachverständiger den Ablauf und die Kausalzusammenhänge weiter aufklären könne. Bei einer solchen Annahme sei indes größte Zurückhaltung geboten, um eine vorweggenommene Beweiswürdigung zu vermeiden.