Insolvenzanfechtung und Staatenimmunität
Angefochten war eine Zahlung der in Deutschland ansässigen Schuldnerin zu einer angemeldeten Einfuhrumsatzsteuer in der Republik Polen nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die spätere Insolvenzschuldnerin informierte den Beklagten – den polnischen Fiskus – im November 2012, dass sie einen Insolvenzantrag gestellt hatte. Danach leistete die Insolvenzschuldnerin gleichwohl noch zwei Zahlungen zur Einfurumsatzsteuer an den Beklagten. Nach Insolvenzeröffnung machte der Insolvenzverwalter (Kläger) Anfechtungsansprüche nach §§ 130 Abs. 1 Nr. 2, 143 InsO gegen den polnischen Fiskus geltend und begehrte die Rückgewähr der beiden Zahlungen. Die Vorinstanzen hatten die dazu erhobene Klage gegen den polnischen Fiskus als unzulässig abgewiesen und ihre Entscheidungen damit begründet, dass die deutsche Gerichtsbarkeit für die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage nach dem Grundsatz der Staatenimmunität (§ 20 Abs. 2 GVG, Art. 25 GG) nicht eröffnet ist. Die Revision gegen sein Urteil hat das Berufungsgericht (OLG Karlsruhe, Az. 3 U 43/23), dessen Entscheidung in der Praxis viel Beachtung gefunden hat, zugelassen.
Die zu entscheidenden Rechtsfragen stellen sich als höchst komplex dar. Ist zu den angefochtenen Zahlungen als Rechtshandlungen nach § 129 InsO überhaupt ein acta iure imperii (eine juristische Handlung hoheitlicher Natur) betroffen und reicht insoweit auch ein mittelbarer Zusammenhang mit der Steueranmeldung bzw. Steuerfestsetzung? Hat der völkerrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität zu den Anfechtungsansprüchen, die die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung nicht tangieren, zwischen den Mitgliedstaaten der EU Relevanz? Wie sind die Regelungen der EuInsVO vom 20.05.2015 (Verordnung EU 2015/848) – die in § 6 Abs. 1 eine internationale Zuständigkeit für die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist sowie in § 7 als anwendbares Recht das Recht dieses Mitgliedstaats festlegen – zu angefochtenen Steuerzahlungen einzuordnen? Ist ein Sekundärinsolvenzverfahren in Polen zu den Ansprüchen erforderlich und überhaupt möglich?
Der BGH hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung der Frage vorgelegt, ob Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/848 (EuInsVO) dahingehend auszulegen ist, dass er in Ansehung der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren einen konkludenten Verzicht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf den Grundsatz der Staatenimmunität für Klagen enthält, mit denen der Insolvenzverwalter nach Maßgabe des anwendbaren Insolvenzrechts geltend macht, Rechtshandlungen gegenüber einem Mitgliedstaat seien anfechtbar, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen.
Eine sehr bedeutsame und interessante insolvenzrechtliche Frage für Insolvenzverfahren mit grenzüberschreitenden Sachverhalten in der EU. Die Klärung durch den EuGH darf mit Spannung erwartet werden.