Keine wirtschaftliche Bewertung des „inneren Werts“ des Geschäftsguthabens bei Verschmelzung von Genossenschaften
Der Antragsteller war mit zwei Geschäftsanteilen Mitglied einer Genossenschaftsbank, die mit einer weiteren Genossenschaftsbank als übertragende Genossenschaften im Wege der Aufnahme auf die Antragsgegnerin, ebenfalls eine Genossenschaftsbank, verschmolzen wurden. Nach den Regelungen des Verschmelzungsvertrags erhielt der Antragsteller für seine beiden voll einbezahlten Geschäftsanteile von insgesamt € 250,00 zehn Geschäftsanteile der Antragsgegnerin zu je € 25,00. Er beantragte durch Entscheidung im Spruchverfahren, die Antragsgegnerin zu einer Zahlung für einen durch die Fusion entstandenen Wertverlust zu dem höheren inneren Wert der übertragenden Genossenschaft zu verurteilen. Das Landgericht hat den Antrag als unzulässig verworfen. Die dagegen erhobene Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Die vom BayObLG zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers zum BGH hat dieser zurückgewiesen. Nach Überzeugung des BGH hat das BayObLG die Statthaftigkeit des Antrags zutreffend verneint, weil ein im Spruchverfahren durchsetzbarer Anspruch auf den (im Verfahren geltend gemachten) wirtschaftlichen Wertausgleich über den Nominalwert des bisherigen Geschäftsguthabens hinaus nach der Regelung des § 85 Abs. 2 UmwG ausgeschlossen ist. Bei einer rein genossenschaftlichen Verschmelzung stehe den Mitgliedern der übertragenden Genossenschaft nach § 85 Abs. 2 UmwG ein im Spruchverfahren geltend zu machender Anspruch auf Verbesserung des Umtauschverhältnisses (§ 15 UmwG, § 1 Nr. 4 SpruchG) nur zu, soweit ihr Geschäftsguthaben in der übernehmenden Genossenschaft niedriger ist als ihr Geschäftsguthaben in der übertragenden Genossenschaft.
Geschäftsguthaben nach § 85 Abs. 2 UmwG ist nach Festlegung des BGH der Nominalwert der Beteiligung des Mitglieds an der Genossenschaft, folglich der bilanziell auszuweisende Betrag, den das Mitglied tatsächlich auf den oder die Geschäftsanteile eingezahlt hat, zu- bzw. abzüglich etwaiger Gewinn- oder Rückvergütungsgutschriften und Verlustabschreibungen. Dabei unterbleibt nach dem Gesetz eine wirtschaftliche Bewertung des „inneren Werts“ des Geschäftsguthabens unter Einbeziehung von Rücklagen oder stillen Reserven in Verschmelzungskonstellationen. Diese Würdigung in § 85 Abs. 2 UmwG zu der Beschränkung des Ausgleichsanspruchs entspricht nach Überzeugung des BGH dem genossenschaftlichen Nominalwertprinzip. Ausweislich der Gesetzesbegründung der inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 85 Abs. 1 UmwG in der bis 28.02.2023 geltenden Fassung solle die Begrenzung des Ausgleichsanspruchs vermeiden, dass bei der Verschmelzung den Mitgliedern der übertragenden Genossenschaft eine Beteiligung an den Rücklagen und sonstigen Vermögenswerten der übertragenden Gesellschaft zuwachse, die ihnen im Fall ihres Ausscheidens nach Kündigung nicht zustünde. Auch solle das Eigenkapital der Genossenschaft erhalten bleiben.
Der durch § 85 Abs. 2 UmwG bewirkte Eingriff in das Eigentum stelle auch eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar. Durch diese habe der Gesetzgeber die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis gebracht. Das Wesen der Genossenschaft, namentlich das schutzwürdige Interesse an der Sicherung eines Förderkapitalstocks und der wirtschaftlichen Substanz, überwiege die Vermögensinteressen der Mitglieder und rechtfertige die Beschränkung des Ausgleichsanspruchs des Mitglieds bei einer rein genossenschaftlichen Verschmelzung. Eine Verteilung des Genossenschaftsvermögens unter die Mitglieder über den Nominalwert ihrer Geschäftsguthaben hinaus sei gesetzlich erst vorgesehen, wenn die Genossenschaft liquidiert werde (§§ 90, 91 GenG) und dadurch der genossenschaftliche Förderzweck entfalle; solange der Förderzweck bestehe und erreichbar bleibe, sei das die Geschäftsguthaben übersteigende Genossenschaftsvermögen ein der Gesellschaft auf Dauer zweckgebunden zugeordneter und so zweckgetreu wie möglich an künftige Mitgliederstämme weiterzureichender Förderkapitalstock. Zu beachten sei ferner, dass das Mitglied sich mit seinem Beitritt freiwillig nach den gesetzlichen Regelungen an der Genossenschaft beteilige und dabei wisse, außerhalb einer Liquidation keinen wirtschaftlichen Ausgleich über den Nominalwert seines Geschäftsguthabens hinaus erwarten zu können.
Eine teleologische Reduktion des Anspruchsausschlusses nach § 85 Abs. 2 UmwG lehnt der BGH in Fällen, in denen der innere Wert maßgeblich vom Nominalwert des Geschäftsguthabens abweicht, mangels einer Regelungslücke ab. Sie sei verfassungsrechtlich nicht geboten und würde gegen den im Wortlaut und in der Gesetzesbegründung zu § 85 UmwG ausgedrückten Willen des Gesetzgebers verstoßen.