Dr. Christian Zwade » Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Kinderzahnarztpraxis vs. Kinderzahnärztin – Irreführungsgefahr bei Angaben zu ärztlicher Spezialisierung

Mit zwei Urteilen vom 07.04.2022 hat der Bundesgerichtshof unter Betonung der tatrichterlichen Würdigung des Verständnisses der angesprochenen Personenkreise die Werbung für eine „Kinderzahnarztpraxis“ als statthaft, „Kinderzahnärztin, Kieferorthopädin“ sowie „Praxis für Kinderzahnmedizin & Kieferorthopädie“ dagegen als irreführend und damit unzulässig beurteilt. Dabei kommt es nicht nur auf die Qualifikation des so beworbenen Zahnarztes, sondern auch die Gleichsetzung von Facharzttiteln mit Tätigkeitsschwerpunkten an.

Zwei jeweils auf die Behandlung von Kindern spezialisierte Zahnarztpraxen hatten u.a. im Internet mit den Schlagworten „Kinderzahnarztpraxis“ bzw. „Praxis für Kinderzahnmedizin & Kieferorthopädie“ und "Kinderzahnärztin" auf diese besondere Ausrichtung hingewiesen. Die zuständige Zahnärztekammer verlangte in beiden Fällen die Unterlassung der Angaben, da sie in berufsrechtlich unzulässiger Weise den Eindruck erwecken würden, die in den Praxen tätigen Ärzte verfügten über einen Titel als Facharzt für Kinderzahnheilkunde, der tatsächlich nicht existiere, zumal auch für einen Tätigkeitsschwerpunkt nur unter Angabe dieses Zusatzes geworben werden dürfe.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die geltend gemachten Unterlassungsansprüche jeweils unter dem Aspekt einer unlauteren, da irreführenden geschäftlichen Handlung (§ 5 Abs. 1 S. 1 UWG sowie §§ 3, 3a UWG i.V.m. § 15 der Berufsordnung) geprüft. Als irreführend wird in der Rechtsprechung eine Handlung angesehen, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige Angaben enthält, die geeignet sind, die angesprochenen Personen über bestimmte Umstände zu täuschen, z.B. die wesentlichen Merkmale der angebotenen Dienstleistung oder die Identität, Eigenschaften oder Rechte des Unternehmers, und dadurch unrichtige Vorstellungen auszulösen.

Dabei bedarf es nach ständiger Rechtsprechung der Prüfung, wie die angesprochenen Verkehrskreise, hier Eltern, die für ihre Kinder einen Zahnarzt suchten, außerdem über die Arztwahl (mit-)entscheidende ältere Kinder, die geschäftliche Angabe verstünden. Die erkennenden Richter könnten dies aufgrund eigener Lebenserfahrung ohne Beweisaufnahme beurteilen. Dabei handelt es sich um eine tatrichterliche Würdigung, die der BGH nur auf Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit überprüfen könne. Zu prüfen ist stets nur die konkrete Angabe im Einzelfall. Inhaltlich sei maßgeblich, welches Verständnis der durchschnittliche Verbraucher von Facharztbezeichnungen im Bereich der Zahnheilkunde habe. Die Vorstellungen über Humanmediziner, bei denen ein Facharzt für Kinderheilkunde existiere, seien nicht ohne Weiteres auf Zahnärzte übertragbar. Schon bei Kieferorthopäden wisse der durchschnittliche Verbraucher nicht, ob es sich um einen Fachzahnarzttitel mit besonderer Ausbildung und Prüfung oder eine bloße Spezialisierung handele.

Die Darstellung einer Praxis als Kinderzahnarztpraxis ist nach Auffassung des BGH zulässig, da die angesprochenen Personenkreise darunter eine auf Kinder ausgerichtete Zahnarztpraxis mit kindgerechter Einrichtung und Aufgeschlossenheit der Behandelnden für die besonderen Belange von Kindern verstünden (Az. I ZR 217/20). Dagegen erwarteten die potentiellen Patienten bzw. ihre Eltern nicht, dass die dort tätigen Zahnärzte über spezielle Fachkenntnisse in der Kinderzahnheilkunde verfügten. Durch den Bezug auf die Praxis selbst hätten Eltern den gesamten Praxisbesuch einschließlich der Räume und Wartezeiten sowie unangenehme Reaktionen der Kinder bei als unangenehm wahrgenommenen Arztbesuchen im Blick.

Anders sei dies bei der personenbezogenen Ankündigung eines Kinderzahnarztes direkt neben der Angabe Kieferorthopäde zu beurteilen (Az. I ZR 5/21). Es komme stets auf die konkrete Verwendungsform an, im entschiedenen Fall die Aufzählung „Kieferorthopädin, Kinderzahnärztin“ direkt unter dem Namen einer bestimmten Ärztin. Dies stelle die Facharztbezeichnung einerseits und den bloßen Tätigkeitsschwerpunkt andererseits gleich; daher würden auch die angesprochenen Personenkreise beides gleichsetzen. Die Bezeichnung „Facharzt für Kieferorthopädie“ bzw. kurz Kieferorthopäde sei dem durchschnittlichen Verbraucher bekannt, wobei er sich eine von der zuständigen Berufsaufsicht anerkannte Weiterbildung mit Prüfung vorstelle. Er wisse dagegen nicht, dass bei Zahnärzten anders als bei Humanmedizinern kein Verbot bestehe, außerhalb des eigenen Fachbereichs tätig zu werden und ein „normaler“ Zahnarzt daher kieferorthopädische Leistungen erbringen dürfe. Zwar könne die Verwendung des Begriffs Kinderzahnärztin nicht generell untersagt werden, da es sich um einen berufsrechtlich nicht geschützten Begriff handele. Das Interesse der Zahnärztekammer, die Verbraucher vor Fehlvorstellungen zu schützen, habe jedoch Vorrang, zumal auch der Zusatz „Tätigkeitsschwerpunkt Kinderzahnheilkunde“ angegeben werden könne.

Als irreführend hat der BGH schließlich die Angabe „Praxis für Kinderzahnmedizin & Kieferorthopädie“ für eine Praxis mit fünf Zahnärzten erachtet, von denen nur jeweils eine Zahnärztin die Berechtigung zum Tragen der Facharztbezeichnung Kieferorthopädie bzw. zur Angabe des Tätigkeitsschwerpunkts Kinderzahnheilkunde hatte. Ungeachtet der Gleichsetzung der Qualifikationen sei die Angabe jedenfalls irreführend, da sie entsprechende Qualifikationen bei allen in der Praxis tätigen Zahnärzten erwarten lasse.

Diese beiden Entscheidungen zeigen einmal mehr die Schwierigkeit, die ärztliche Tätigkeit im Geschäftsleben ansprechend, aber auch berufsrechtskonform darzustellen. Das Abstellen auf die jeweils konkrete Angabe und auf das Verständnis des durchschnittlichen Verbrauchers, das sich im Laufe der Zeit ändern kann, ist vom Gesetz vorgesehen, trägt in der Praxis indes zur Verunsicherung bei. Selbstverständlich ist, dass nur solche Qualifikationen und Fähigkeiten angegeben werden dürfen, die der bzw. die Ärzte, auf die sich die Angaben beziehen, auch aufweisen. Unzulässig ist die Gleichstellung einer Facharztqualifikation mit einem Tätigkeitsschwerpunkt. Schließlich ist der Bezug auf eine spezialisierte Praxis wie Kinderzahnarztpraxis (die natürlich entsprechende Befähigungen nicht nur eines von mehreren Ärzten der Praxis voraussetzt) weniger kritisch als ein konkreter Personenbezug, der einer Facharztqualifikation ähnelt.