Dr. Christian Zwade » Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof

Musiksampling ohne Lizenz kann legal sein, § 24 UrhG jedoch unionsrechtswidrig

Mit einem Grundsatzurteil vom 29.07.2019, Az. C-476/17, hat der EuGH in dem langen Rechtsstreit um das Sampling eines kurzen Ausschnitts aus "Metall auf Metall" von Kraftwerk ein vermittelndes Urteil getroffen. Danach kann das Sampling ohne Lizenz zulässig sein, wenn das genutzte Audio-Fragment so bearbeitet wird, dass es nicht mehr wiedererkennbar ist. Andererseits sei die freie Benutzung nach § 24 UrhG unionsrechtswidrig.

Die Komponisten des von Sabrina Setlur gesungenen Musikstücks "Nur mir", Moses Pelham und Martin Haas, hatten Ende der 1990er Jahre einen zweisekündigen Ausschnitt aus dem Musikstück "Metall auf Metall", das die Musikgruppe Kraftwerk 20 Jahre zuvor veröffentlicht hatte, verwendet. Dieser Ausschnitt einer Rhythmussequenz wurde mithilfe der Sampling-Technik kopiert und dem Musikstück "Nur mir" fortlaufend unterlegt. Zwei Mitglieder von Kraftwerk wandten sich hiergegen wegen Verletzung ihrer Rechte als Tonträgerhersteller und beantragten u.a. Unterlassung, Schadenersatz und Herausgabe der Tonträger mit dem Titel "Nur mir", um diese zu vernichten.

In dem Verfahren, das die deutschen Gerichte bereits seit einiger Zeit beschäftigt, hat der EuGH auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden, dass das Sampling ohne die Zustimmung des Tonträgerherstellers einen Eingriff in dessen Rechte darstellen könne. Allerdings stelle die Nutzung eines Fragments eines Musikstücks in veränderter und deshalb für den Hörer nicht wiedererkennbarer Form auch ohne die notwendige Einwilligung des Rechteinhabers keinen Rechtsverstoß dar.

Vor dem Hintergrund der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, der RL 2006/115/EG zum Vermiet- und Verleihrecht sowie bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums und den Grundrechten, die die Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiere, hätten die Tonträgerhersteller das ausschließliche Recht, die Vervielfältigung ihrer Tonträger zu erlauben oder zu verbieten. Daher sei auch das Kopieren nur eines kurzen Fragments durch einen Nutzer grundsätzlich eine solche Vervielfältigung, die dem Tonträgerherstellerrecht unterfalle.

Wenn jedoch ein Nutzer in Ausübung seiner Kunstfreiheit einen Ausschnitt sample und in veränderter, nicht mehr erkennbarer Form einem neuen Werk unterlege, soll nach Auffassung des EuGH der Begriff einer Vervielfältigung im Sinne des Urheberrechts nicht erfüllt sein. Denn ein anderes Ergebnis berücksichtige die Interessen und Grundrechte der Nutzer von Schutzgegenständen, insbesondere das Grundrecht auf Kunstfreiheit, nicht hinreichend.

Zudem könne die Nutzung eines Audiofragments, das einem Tonträger entnommen wurde und das ursprüngliche Werk erkennen lasse, unter bestimmten Voraussetzungen ein zulässiges Zitat sein. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Nutzung zum Ziel habe, mit diesem Werk zu interagieren. Sei das verwendete Werk nicht zu erkennen, liege jedoch kein Zitat vor.

Weiter hält der EuGH fest, dass die deutsche Ausnahmevorschrift des § 24 UrhG, wonach ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des ursprünglichen Urhebers veröffentlicht und verwertet werden kann, mit dem Unionsrecht nicht vereinbar sei. Denn die Ausnahmen und Beschränkungen in den genannten Richtlinien 2001/29/EG und 2006/115/EG stellten eine abschließende Regelung dar und berücksichtigten die Interessen der Hersteller und Nutzer von geschützten Gegenständen sowie das Allgemeininteresse.

Schließlich dürften Mitgliedstaaten, so der EuGH, bei der Durchführung des Unionsrechts, wenn dieses das staatliche Handeln nicht abschließend bestimme, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anwenden. Voraussetzung sei jedoch, dass u.a. das Schutzniveau der Charta der Grundrechte der EU nicht beeinträchtigt werde. Da das Vervielfältigungsrecht des Tonträgerherstellers jedoch abschließend unionsrechtlich geregelt sei, bestünde insofern kein nationaler Freiraum.

Auch wenn die teilweise Gestattung des Samplings im Interesse der Kunstfreiheit im Ergebnis zu begrüßen ist, vermag jedoch die Begründung über die Definition der Vervielfältigung dogmatisch nicht zu überzeugen. In der Praxis kann dagegen vor allem die festgestellte Unionsrechtswidrigkeit der freien Benutzung nach § 24 UrhG zu Folgeproblemen insbesondere bei bereits veröffentlichten Kunstwerken führen.