Nachbarrechtlicher Beseitigungsanspruch auch bei fehlender konkreter Beeinträchtigung und hohem Beseitigungsaufwand
Dem Urteil (Az.: V ZR 152/18) lag eine Auseinandersetzung zwischen den Eigentümerinnen zweier benachbarter Grundstücke in einem reinen Gewerbegebiet wegen fehlenden Brand- sowie Lärmschutzes zugrunde. Die beiden Grundstücke sind aus der durch den Voreigentümer vorgenommenen Realteilung hervorgegangen und mit aneinander angrenzenden Gebäuden bebaut. Das Gebäude auf dem Grundstück der Beklagten, in dem diese eine Discothek mit Livekonzerten betreibt, verfügt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze nicht über eine eigene Abschlusswand. Eine bestehende Baugenehmigung bezieht sich auf die frühere Nutzung für Freizeitsport (Squash). Die Klägerin erwarb das Nachbargrundstück und baute den darauf vorhandenen Speicher zu sog. Loftateliers aus, die sie als Büro- und Veranstaltungsflächen vermietet.
Land- und Berufungsgericht haben die auf Herstellung der nach § 30 Abs. 1 BauO Berlin erforderliche Brandschutzwand und auf Unterlassung von Lärmimmissionen über 35 dB(A) hinaus gerichtete Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidungen aufgehoben und der Klage im Wesentlichen stattgegeben.
Stehe der Zustand eines Gebäudes im Widerspruch zu nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts, könne der Nachbar mit dem quasinegatorischen Beseitigungsanspruch die Beseitigung der Störung verlangen. Die auf dem Grundstück der Klägerin vorhandene Brandwand reiche als Gebäudeabschlusswand für das Gebäude der Beklagten nicht aus, denn § 12 Abs. 2 BauO Berlin lasse gemeinsame Bauteile für mehrere bauliche Anlagen nur dann zu, wenn deren Bestehenbleiben auch im Fall der Beseitigung einer Anlage öffentlich-rechtlich gesichert sei. Eine öffentlich-rechtliche Baulast habe die Klägerin jedoch nicht bewilligt.
Es komme nicht darauf an, ob nur eine formelle Baurechtswidrigkeit vorliegt. Die nachbarschützenden Normen des öffentlichen Rechts reichten so weit, dass auch derjenige Zustandsstörer sei, durch dessen maßgeblichen Willen die Beeinträchtigung aufrechterhalten werde. Zurechenbar sei die Störung, wenn sie wenigstens mittelbar auf den Willen des in Anspruch Genommenen zurückgehe. Dies sei stets zu bejahen, wenn der Zustand eines Grundstücks gegen ein Schutzgesetz verstoße; eine konkrete Gefahr müsse nicht vorliegen, wenn das Schutzgesetz das nicht verlange.
Im Hinblick auf den Lärmschutz hat der BGH betont, dass die festgestellte Überschreitung der maßgeblichen Lärmschutzvorgaben (u.a. TA Lärm) nicht deshalb als unwesentlich angesehen werden darf, da der Lärm nachts und am Wochenende stattfinde und die Klägerin das Gebäude in Kenntnis der Discothek der Beklagten erworben habe. Das Überschreiten der Grenzwerte spreche für eine wesentliche Beeinträchtigung i. S. v. § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB. Die wertende Betrachtung des Einzelfalls führe nicht dazu, dass der von der Discothek ausgehende Lärm unerheblich sei. Dessen Pegel übersteige sogar den Wert zulässiger Lärmspitzen. Auf Vertrauensschutz oder eine ortsübliche Nutzung könne sich die Beklagte in Ermangelung einer gültigen Baugenehmigung nicht berufen. Ferner sei es nicht lebensfremd, dass Büros und Ateliers, erst recht Veranstaltungsflächen, auch in den frühen Nachtstunden genutzt werden. Einer Darlegung konkreter Mieterbeschwerden bedürfe es dafür nicht.
Im Übrigen stehe ein hoher finanzieller Beseitigungsaufwand nicht in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Nachbarn, so dass keine Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 2 BGB vorliege.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat der BGH festgehalten, dass das Gericht verpflichtet ist, einen anberaumten Verkündungstermin gem. § 227 ZPO aufzuheben bzw. zu verlegen, wenn beide Parteien dies übereinstimmend wegen ernsthafter Vergleichsverhandlungen beantragen. Zwar liege die Entscheidung über die Verlegung eines Termins im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Verpflichtet sei es hierzu aber, wenn die Wahrung des rechtlichen Gehörs die Terminverlegung gebiete. Auch bei ernsthaften Vergleichsverhandlungen, die z.B. durch die Vorlage eines ausformulierten Vorschlags und der Erklärung des Gegners, hierüber verhandeln zu wollen, sei eine solche Pflicht zugunsten der Parteidisposition zu bejahen. Ausweislich § 278 ZPO messe der Gesetzgeber dem Hinwirken auf einen Vergleich nicht nur zur Arbeitserleichterung des Gerichts, sondern auch im Interesse des nachhaltigen Rechtsfriedens besondere Bedeutung bei.