OLG Köln: Grundsätze des Arzthaftungsrechts auch für Apotheker


OLG Köln: Grundsätze des Arzthaftungsrechts auch für Apotheker

OLG Köln: Grundsätze des Arzthaftungsrechts auch für Apotheker

Am 07.08.2013 hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden, dass die Grundsätze des Arzthaftungsrechts auch auf Apotheker angewandt werden können, insbesondere die Umkehr der Beweislast. Danach muss der vom Patienten in Anspruch genommene Apotheker beweisen, keinen Fehler bei der Abgabe von Medikamenten begangen zu haben bzw. dass sein Fehler keinen Schaden verursacht hat.

Dem Urteil lag ein Fall versehentlich extrem überhöhter Dosierung eines Medikaments für einen unter dem Down-Syndrom leidenden Säugling zugrunde. Das ca. fünf Wochen alte Kind wurde nach Entlassung aus der stationären Behandlung mit einer Medikationsempfehlung von einem Kardiologen weiterbetreut, der sich auf die Behandlung von Kindern spezialisiert hatte. Statt der von der Klinik empfohlenen Dosierung von täglich 2x1 Tropfen („gtt“) des Medikaments Lanitop verordnete er 50 Tabletten („Tbl.“), die nur für die Anwendung bei Erwachsenen und Heranwachsenden geeignet sind und die achtfache Dosis des Wirkstoffes Digitalis enthalten. Die Mutter löste das Rezept in der Apotheke ein, wobei die Mitarbeiterin des Apothekers empfahl, die Tabletten aufzulösen, um sie dem Säugling einflößen zu können. Dieser litt dreieinhalb Tage später unter Fieber und Krämpfen und erlitt einen Herzstillstand. Er musste über 50 Min. hinweg reanimiert und einer Operation am offenen Bauch unterzogen werden, wobei insbesondere ein nekrotisierter Teil des Dünndarms entfernt wurde. Das Kind leidet unter einem Hirnschaden und weist eine selbst für ein Kind mit Down-Syndrom stark verzögerte Entwicklung auf, benötigt etwa die doppelte Zeit für Entwicklungsschritte wie ein vergleichbares Kind.

In dem auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen den behandelnden Arzt und den Apotheker gerichteten Klageverfahren konnte zwar das Vorliegen eines Hirnschadens nachgewiesen werden, nicht jedoch, ob es sich um einen sauerstoffmangelbedingten Hirnschaden handelt, der infolge des Herzstillstandes wegen der Überdosierung des Medikaments Lanitop eintrat. Es wäre ebenfalls denkbar, dass die Hirnschädigung auf dem Down-Syndrom beruhte. Das Landgericht Bonn hat der Klage umfänglich stattgegeben, dessen Argumentation hat sich das OLG Köln zumindest im Ergebnis angeschlossen.

Es führt in seinem Urteil zunächst aus, dass auch in Fällen, in denen nicht der Behandlungsfehler selbst, sondern dessen Kausalität für einen feststellbaren Schaden umstritten ist, die Beweislast umgekehrt wird. Das bedeutet, der behandelnde Arzt – und ggf. der das schädigende Medikament aushändigende Apotheker – muss darlegen und nachweisen, dass der eingetretene Schaden nicht auf den Behandlungs- oder Medikationsfehler zurückzuführen ist, sondern auf anderen Gründen beruht. Es liege nicht bei dem geschädigten Patienten, den Beweis zu erbringen, dass der objektiv vorliegende Schaden sich nicht als Fortentwicklung seines Grundleidens darstellt, so das Gericht weiter. Denn bei anderer Betrachtung würden die Grundsätze der Beweislastumkehr und damit die Arzthaftung leerlaufen. Damit wendet das Gericht den Haftungsmaßstab für grobe ärztliche Kunstfehler an, wonach eine Haftung des Arztes nur dann nicht im Rahmen der Beweislastumkehr vermutet würde, wenn der eingetretene Schaden mit nur äußerst geringer Wahrscheinlichkeit auf den Behandlungsfehler zurückzuführen wäre. Auch handele es sich bei dem Hirnschaden um einen Primärschaden, der ohne weiteres den o.g. Beweisgrundsätzen unterfalle.

Das OLG Köln hat eine vertragliche Haftung des Apothekers aus Kaufvertrag über verschreibungspflichtiges Medikament und deliktische Haftung aus § 823 BGB wg. schwerer Pflichtverletzung des Apothekers bejaht. Das OLG Köln sieht die Warn- und Hinweispflichten gegenüber dem Käufer, die durch die berufsrechtlichen Pflichten des Apothekers verstärkt sind, erheblich verletzt. Es hätte sich der Angestellten des Apothekers aufdrängen müssen, dass das verschriebene Medikament in dieser Dosis nicht geeignet sein könne, weshalb sie bei ihrem Chef bzw. dem verschreibenden Arzt habe im Hinblick auf die Darreichungsform als Tabletten und die Dosierung für Säuglinge nachfragen müssen. Im Zweifel hätte sie die Abgabe des Medikamentes bis zur Klärung dieser Frage verweigern müssen.

Dem beklagten Apotheker oblag dagegen die Überwachung, Instruktion und Belehrung seiner Angestellten. Er darf nicht ohne weiteres auf deren ordnungsgemäßes Handeln vertrauen. Hinzu kam im dem entschiedenen Fall, dass dem Apotheker der Medikationsplan der Klinik vorlag und er diesen mit einem Mitarbeiter bereits besprochen hatte, nicht jedoch mit der dann tätigen Angestellten, was das Gericht ebenfalls als zuzurechnenden Fehler beurteilte.

Zweifel bestanden dagegen wie auch bei dem behandelnden Arzt bei der Feststellung, ob der Fehler der Medikation zu den festgestellten Schäden, namentlich der Hirnschädigung geführt hatte. Das OLG Köln hat insoweit den Grundsatz aus dem Arzthaftungsrecht übertragen, wonach der Apotheker beweisen muss, dass seine Pflichtverletzung nicht für die eingetretenen Schäden verantwortlich ist. Begründet hat es dies damit, dass die Berufsausübung von Arzt und Apotheker sehr ähnlichen Voraussetzungen – Studium und Approbation – unterliegt, weshalb eine gleichgelagerte Haftung angemessen sei. Auch ähnelten die Risiken bei der Medikamentenabgabe der Gefährdungshaftung nach der Bestimmung in § 84 AMG. Diese Vorschrft begründet eine verschuldensunabhängige Haftung des pharmazeutischen Unternehmers, der ein Medikament in Verkehr bringt, für Schäden, die auf der Anwendung dieses Medikaments beruhen. Weiterhin stützt sich das OLG Köln auf die Rechtsprechung zu anderen heilkundlichen Berufen, insbesondere Hebammen, Pflegepersonal oder Logopäden, die einer vergleichbar strengen Haftung unterworfen werden.

Diese Wertung des OLG Köln ist rechtsdogmatisch keinesfalls zwingend, da der Apotheker Heilkunde im eigentlichen Sinne nicht ausübt, sondern nur zu heilkundlichen Verrichtungen, die handwerklicher oder technischer Art sind, berechtigt ist. Zudem hat der Gesetzgeber in der Begründung zum Patientenrechtegesetz klargestellt, dass der Apotheker nicht „Behandelnder“ im Sinn des Behandlungsvertrages ist, also gerade nicht in den Anwendungsbereich für den Behandlungsvertrag einbezogen wurde. Andererseits wurde die Haftung des Apothekers nach diesen Grundsätzen vom Gesetzgeber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Unabhängig davon ist der vom OLG Köln vornehmlich berücksichtigte Zweck, den Patienten zu schützen, und die Auslegung auf dieser Grundlage nicht ganz von der Hand zu weisen.

Die Entscheidung liegt nach Revision des Apothekers beim BGH zur Überprüfung. Es bleibt abzuwarten, ob die Beurteilung des OLG Köln aufrechterhalten wird und tatsächlich für die Beweislast die Grundsätze des Arzthaftungsrechts auf den Apotheker übertragen werden. In jedem Fall sollten auch Apotheker nicht nur selbst bei der Herausgabe ärztlich verschriebener Medikamente äußerste Vorsicht walten lassen, sondern auch ihr Personal hierfür sensibilisieren und auch die zuverlässigsten Mitarbeiter bei deren Tätigkeit überwachen. Welche Maßnahmen geeignet wären, den Apotheker von der Haftung für Fehler seines Personals zu entlasten, blieb im Urteil leider offen, da der Apotheker insoweit keine erheblichen entlastenden Umstände vorgetragen hatte.